Wie ziehst Du mit Deiner Erzählsprache in Deinen Bann?
„In der inneren Welt Deiner Figur kann ich mich orientieren. Die äußere Welt dagegen lässt mich verwirrt zurück.“
So schrieb mir vor vielen Jahren ein Schreibkollege in einem Forum. In diesem Forum gab es ein kleines Unterforum für all diejenigen, die das Schreiben liebten. Ich war damals die Einzige, die schon Kurzgeschichten und Kolumnen verkauft hatte. Trotzdem fühlte ich mich aufgrund mangelnden Selbstbewusstseins viel schlechter als alle anderen.
Diese Unsicherheit hatte die positive Nebenwirkung, dass ich jegliche Art von kritischen Feedback sehr ernst nahm. Statt mich darauf auszuruhen, was ich schon erreicht hatte, behielt ich die Haltung: Jeder Mensch weiß etwas, von dem ich mehr darüber lernen kann, wie man gut schreibt.
Damals erfuhr ich dann also: All die Arbeit an erlebter Rede, Stream of Consciousness, Metaphern, Figursprache und individuellem Blick hatte sich gelohnt. Man konnte die innere Welt meiner Figur nachvollziehen. Aber was war mit der äußeren Welt?
Es schien, als müsse ich ganz von vorn anfangen …
Aber ich wusste, dass es mir gelingen würde, meine Erzählsprache so zu entwickeln, dass innere und äußere Welt gleichermaßen spannend zu lesen wären. Heute zeige ich Dir die wichtigsten Dinge, die ich auf dem Weg dahin gelernt habe.
7 Tipps für Deine Erzählsprache (in bunter Reihenfolge)
Anstatt ein ganzes Gebäude mit Worten zu beschreiben, die für jedes zweite Haus in einer deutschen Großstadt gelten könnten, konzentriere Dich auf winzige Details. Ein winziges Detail des Türrahmens schafft ein genaueres Bild im Kopf Deiner Leser:innen. Vertraue darauf, dass Menschen beim Lesen in der Lage sind, den ganzen Rest mithilfe ihrer Fantasie zu erschließen.
Mittelmäßigkeit im Denken und im Blick auf die Welt gibt es im richtigen Leben oft genug. In Deiner Story kannst Du es Dir erlauben, ganz groß und ganz klein zu denken.
Wenn Du Dich für die Ich-Perspektive oder den personalen Erzählstil entschieden hast, gibt es in jeder Szene eine Perspektivfigur, durch deren Augen Deine Leser:innen die Welt Deiner Story erfassen. Diese Figur hat eine ganz eigene, zutiefst subjektive Haltung zu der Welt, in der sie lebt. Diese Haltung spiegelt sich auch in der Sprache, die distanziert und analytisch oder umgangssprachlich und emotional sein kann.
(In einem weiteren Artikel gibt es einen kleinen Reminder zum Thema Erzählperspektive.)
Beispiele für Sprache, die zugleich eine einzigartige Weltsicht vermittelt:
„Bevor die Ziegen aus den Straßen Morganas verschwanden, gab es keine Fleischkonserven. Die Araber aßen, reisten, heirateten, starben und gebaren, führten Kriege und schlossen Frieden immer in Abhängigkeit von der Jahreszeit. Die Fleischkonserve war die erste Zerstörung der Harmonie zwischen Mensch und Jahreszeit. Denn sie war zu jeder Zeit erhältlich. Das später verbreitete geruchs- und geschmacklose Gemüse aus den Treibhäusern war nur noch die Fortsetzung der Zerstörung, der Nachfolger der Fleischkonserve.“
Rafik Schami: Der ehrliche Lügner. Beltz und Gelberg, 1996, S. 300
„Außerdem konnte [Lisbeth Salander] feststellen, dass die Krankenschwester auf dem Flur nach links ging und siebzehn Schritte brauchte, um ihr Ziel zu erreichen. Für dieselbe Strecke brauchte der männliche Besucher anschließend vierzehn Schritte. Das ergab einen Mittelwert von fünfzehneinhalb Schritten. Die Schrittlänge schätzte sie auf sechzig Zentimeter, was, multipliziert mit fünfzehneinhalb, bedeutete, dass Zalatschenko in einem Zimmer lag, das neunhundertdreißig Zentimeter links von ihrem Zimmer lag. Also knappe zehn Meter.“
Stieg Larsson: Vergebung, Heyne, 2009, S. 125
Kurze Sätze verbessern den Lesefluss und die Verständlichkeit Deines Textes. Wenn Du die Wahl zwischen einem langen und zwei kurzen Sätzen hast, wähle die kurzen. Immer. Sobald Du darüber nachdenkst, sind die kurzen Sätze das Mittel Deiner Wahl.
Stell Dir einfach vor, jemand liest Dein Buch auf dem Heimweg in der Straßenbahn. Immer wieder wird er oder sie durchgeruckelt, angerempelt und muss hochschauen, damit er/sie die richtige Haltestelle nicht verpasst. Je länger Deine Sätze sind, desto schwerer wird es jedes Mal, zurück in die Story zu finden. Dabei will dieser Jemand unbedingt wissen, wie es weitergeht!
Wenn ein Satz lang sein muss, weil Du die Story anders nicht erzählen kannst, wähle den langen Satz. Die Beispiele im vorigen Tipp zeigen, dass er funktionieren kann. Jeder der dortigen langen Sätze fordert in besonderer Weise die Aufmerksamkeit und das Mitdenken aller Lesenden, und transportiert Details über die Weltsicht der Erzählfigur. Doch auch dort betten die Autoren die langen Sätze sorgsam in kürzere ein, die die Handlung voranbringen.
Dialoge gehen immer. Wirklich.
Grundsätzlich gilt: Wenn Du eine Information entweder durch Gedanken Deiner Perspektivfigur vermitteln kannst oder dadurch, dass sich zwei Figuren unterhalten, dann wähle den Dialog. Wenn Meinungen aufeinanderprallen, entsteht mehr Spannung und sprachliche Dynamik, als wenn sich die Gedanken Deiner Figur im Kreis drehen.
Im vorigen Tutorial zeige ich Dir ausführlich, worauf Du beim Entwickeln und Schreiben von Dialogen achten musst:
Basiskurs Romane schreiben – Dialoge in Roman und Literatur
Beschreibungen sind wichtig genug, dass ich zu diesem Thema ebenfalls einen eigenen Blogbeitrag verfasst habe. Deswegen gibt es hier nur eine knappe Zusammenfassung:
Achte darauf, dass Du …
- Beschreibungen sparsam und gezielt nur dann einsetzt, wenn sie wichtig für die Handlung sind
- Details sorgfältig auswählst
- mit allen Sinnen arbeitest und nicht nur visuelle Eindrücke vermittelst
- Metaphern und Vergleiche gezielt und sparsam einsetzt
- zutiefst subjektiv beschreibst (aus Sicht Deiner Figur)
Konkretere Einzelheiten dazu findest Du in folgendem Artikel:
6 Tipps für Beschreibungen in Roman und Literatur
Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die richtige Auswahl Deiner Verben ist einer der wichtigsten Schlüssel zum Erfolg. Die Auswahl der Verben wird von Dir als Autor:in bewusst oder unbewusst genutzt, um das Tempo und die Dynamik des Textes zu steuern. Je aktiver die Verben nach vorn drängen, desto stärker zieht der Sprachfluss Deine Leser:innen in den Bann.
Deutschlehrer:innen sollten wachsam sein: In diesem Tutorial verwende ich „aktiv“ oder „passiv“ in Bezug auf Verben nicht entsprechend der grammatischen Konjugationsform.
„Passive“ Verben
Passive Verben im Sinne des Storytelling beschreiben Verben, die Dinge nur geschehen lassen, ohne aktives Verändern oder Bewegen auszudrücken. Denk daran: Es ist ungeschickt, wenn Du Deinen Roman rund um eine Hauptfigur entwickelst, die keine eigene Initiative verfolgt.
Mehr dazu findest Du auch in diesem Artikel zur Figurentwicklung:
Basiskurs Romane schreiben – Deine Figur braucht ein Ziel
Hier sind ein paar Beispiele dafür, wie Verben für Zurückhaltung und Stagnation in der Story sorgen. Natürlich darfst Du sie hin und wieder verwenden, aber wenn sie oder vergleichbare Verben gehäuft auftreten, überleg Dir, woran das liegt. Vielleicht fehlt es Deiner Handlung insgesamt noch an Drive?
- ruhen
- warten
- wünschen
- träumen
- zögern
- hoffen
- u.v.m.
„Aktive“ Verben
Aktive Verben beschreiben Bewegung und Veränderung. Sie drücken Aktivität der Gegenstände und/oder handelnden Personen aus. Dadurch vermitteln sie auf der sprachlichen Ebene, dass sich in dieser Sequenz etwas verändert und die Leser:innen achtsam bleiben sollten, um die Veränderung mitzubekommen. Auch, wenn dieses Stilmittel normalerweise nicht bewusst wahrgenommen wird, verschönert es die Lesbarkeit Deiner Texte.
- kämpfen
- entscheiden
- erklimmen
- gehen
- lieben
- u.v.m.
Die meisten Werkzeuge für guten Stil fallen beim Lesen nicht sofort ins Auge. Sie wirken unterschwellig und sorgen dafür, dass der ersehnte Leseflow entsteht . Wenn Du es richtig machst, wird hinterher niemand sagen „Er/sie nutzte dynamische Verben auf sehr geschickte Weise.“ Stattdessen heißt es dann: „Ich konnte das Buch einfach nicht aus der Hand legen.“
Während des Schreibens gelingt es den Wenigsten, auf all die kleinen handwerklichen Tricks zu achten, die den Sprachstil formen und eleganter machen. Mit elegant meine ich keine verschachtelten Angebersätze, sondern einen klaren und gut lesbaren Stil, der Deine Leser:innen behutsam einfängt und durch die Story führt.
Stress Dich nicht, wenn es Dir nicht schon in der Rohfassung gelingt, alle Kriterien guten Stils umzusetzen! Die Details und Nuancen des Stils entstehen immer erst während der Überarbeitungsdurchgänge.
Praxistipp: Komme direkt in die Umsetzung
Dein Vorteil bei diesem Workbook ist, dass ich Dir als professionelle Autorin gleich aus zwei Gründen wertvollen Input für Deinen künstlerischen Weg mitgebe. Als Schriftstellerin und gleichzeitig Lehrerin besitze ich das notwendige Wissen und weiß, wie man es vermittelt.
Learning by Doing:
Mit diesem Workbook erhältst Du auf hundert Seiten eine spielerisch und leicht anmutende Einführung in das Schreibhandwerk. In diesem Workbook gibt es nahezu keine Theorietexte oder Beispiele von anderen. Dafür gibt es genug andere Schreibratgeber, deren Verfasser:innen oft genug voneinander abschreiben und sich gegenseitig zitieren.
In diesem Arbeitsbuch findest Du stattdessen 100 Seiten, die Dich direkt in die Praxis bringen. Du erhältst das komprimierte Resultat von über 20 Jahren Erfahrung als Schriftstellerin und Lehrerin auf eine Weise, die Dich zum Schreiben animiert und die Theorie vergessen lässt. Während des Arbeitens begreifst Du bei jedem einzelnen Aspekt des Handwerks:
Natürlich, so funktioniert es. Ich habe es getan und währenddessen die Methode verstanden. Jetzt kann ich sie auch für künftige Bücher nutzen.
Noch bearbeiten: Block zur Kurseinladung
Die Verfasserin:
Hanna Aden (*1983) ist Schriftstellerin und examinierte Lehrerin. Seit 2015 unterstützt sie als Seminarleiterin und Coach angehende und professionelle Autor:innen auf ihrem Weg.
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Danke, dass Du meinen Text gelesen hast! Ich mag neugierige und wissbegierige Menschen. Besonders, wenn sie sich für das Erzählen von Geschichten interessieren.
In meinem Newsletter verschicke ich (halbwegs) regelmäßig Tipps über das Schreiben, Inspirationals und informiere Dich über neue Blogbeiträge und Videos. Außerdem schenke ich Dir als Dankeschön für Dein Interesse das E-Book „Romane schreiben für Anfänger:innen“ im PDF-Format. Dort erhältst Du 18 praktische und direkt umsetzbare Lektionen, die Dir die Basics des Schreibhandwerks informativ und fesselnd vermitteln.
Mein Best Buddy würde sagen: Gönn Dir!
Ich freue mich darauf, Dich vielleicht schon bald in einem meiner Kurse kennenzulernen.
Liebe Grüße
Hanna
Bildbearbeitung: Diana Aslan. Alle Fotogrundlagen als Lizenz bei Shutterstock erworben.