In diesem Blog gibt es alle zwei Wochen eine neue Folge des frei zugänglichen Basiskurses Romane Schreiben. Für die Zukunft plane ich einen Videopodcast zu Autor:innen-Themen. Mich interessiert alles rund um das Thema Schreiben. Es lohnt sich für Dich also in jedem Fall, meinen Newsletter zu abonnieren, falls Du das noch nicht hast.

Für diesen Artikel habe ich getan, was ich meinen Klient:innen und Kolleg:innen in Gesprächen gern rate: Ich habe auf meinen Bauch gehört. Und mein Bauch sagt: Du bist trotz all deiner Weiterbildungen zum Branding keine Geschäftsfrau, sondern eine Geschichtenerzählerin. Sei stolz darauf und steh dazu!

Hier ist meine Schreibgeschichte für diese Woche.

Eine Vater-Tochter-Geschichte mit Musik und Gedichten

Die heutige Geschichte beginnt an einem Geburtstag meines Vaters. Lasst uns so tun, als sei es ein Geburtstag vor Corona gewesen, in einer Zeit, in der man zu einem Geburtstagsbesuch bedenkenlos auch den Ehemann ins Auto laden konnte, um die Familie zu besuchen.

Zu diesem Geburtstag bringe meinen wertvollsten Besitz mit: Das handgefertigte Set für eine traditionelle chinesische Teezeremonie. Ich serviere allen einen zarten weißen Tee, der nach Blüten und Früchten duftete und bei jedem Aufguss eine andere Geschmacksnuance entfaltet.

(Eines Tages erzähle ich Dir bestimmt auch die Geschichte, wie dieses Set für die traditionelle chinesische Teezeremonie in meine Obhut gelangte …)

Als Dankeschön dafür spielt mein Vater uns auf der Mandoline ein Blues-Stück vor, dessen Noten wir ihm zu Weihnachten geschenkt haben. Und wo wir beim Thema Musik sind, holte er als Nächstes die Bouzouki von der Wand. Ein griechisches Instrument mit vier Doppelseiten und langem Hals, das sowohl für Melodiespiel wie auch Harmonien genutzt wird.

Mein Vater stimmt die Bouzouki und setzt zum Spielen an. Greift daneben, schüttelt den Kopf und versucht es noch einmal. „Früher habe ich sie unglaublich gern gespielt. Aber jetzt, wo ich so viel Mandoline spiele, komme ich ständig mit den Griffweisen durcheinander.“

„Darf ich?“, frage ich schüchtern und strecke die Hand aus. Der scharfe, metallische Klang der Bouzouki fasziniert mich. Er klingt nach Feuer und Leidenschaft, Zorn und Schmerz und einer Kraft, die ganz andere Dinge ausstrahlt als der warme Klang meiner Gitarre oder die zärtliche Verträumtheit der Harfe.

Ich spiele und spiele, suche auch ohne Grifftabelle nach Tönen und Akkorden und spüre, wie das Feuer der Bouzouki in Resonanz zu dem Feuer in meiner Seele geht. Meine Stiefmutter mustert besorgt meine Fingerkuppen, in die die dünnen Saiten tief einschneiden, aber es ist nicht viel schlimmer als bei der Gitarre.

„Wenn ich könnte, würde ich sie dir abkaufen“, sage ich spontan. „Sie ist zu schön, um nicht gespielt zu werden.“

Dann erschrecke ich und nehme die Worte hastig zurück. Das könnte so klingen, als möchte ich sie als Geschenk. Dabei ist heute sein Geburtstag!

Aber die Bouzouki vibriert unter meinen Fingern. Sie ist schön und sehnt sich danach, gespielt zu werden. Das Instrument ist zu stolz, um schweigend an der Wand zu hängen und voller Bescheidenheit mit seiner Schönheit zu prangen.

Ein ungewöhnlicher Vorschlag

„Ich habe eine Idee“, sagt mein Vater. „Aber warte eben … ich hatte dir ja gesagt, dass ich in letzter Zeit häufiger Gedichte schreibe. Da gibt es eins, darauf hätte ich gern eben schnell Deinen Blick …“ Er blickt zu seiner Frau und ich ahne, dass sie häufiger auf seine Texte blickt und ihr Gesicht dabei inzwischen oft einen Ausdruck bemühten Interesses annimmt.

Mein Mann lacht auf. Er kennt das in ganz ähnlicher Form von uns, wann immer ich mich für ein neues Projekt begeistere.

Die Frau meines Vaters lächelt liebevoll und wirft einen kurzen Blick zu mir, bevor sie zustimmend nickt. Sie wollte wohl sichergehen, dass ich mich als Gast nicht überrumpelt oder gedrängt fühle.

Mein Vater reicht mir ein auf Elefantenpapier geklebtes, ausgedrucktes Gedicht. Ich spüre, dass mehrere Lagen Papier übereinanderkleben. Hier wurde häufig überarbeitet und umgeschrieben und immer wieder eine vielleicht finale Version aufgeklebt, bis Tage, Wochen oder Monate später plötzlich eine neue Idee kam.

Ich mag Texte, die auf diese Weise geliebt werden.

(Ich habe erst als Erwachsene erfahren, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Väter ihre kleinen Töchter am Herzen tragen und ihnen so zeigen, wie hübsch es draußen in den Wäldern ist … Es sollte normaler sein!)

Kurz, hat er gesagt. Also ist keine Zeit für Schnickschnack, Schmeicheleien und Betonen, was an dem Text schon alles gut ist, wie ich es in einem regulären Coaching täte. Ich greife nach einem Bleistift und frage nur kurz, ob ich darf, da streiche ich schon im Text herum. „Die Zeile ist leer, die sagt gar nix. Der ganze Anfang ist Bla. Da suchst du noch, wovon du erzählen willst. Der Absatz hier ist okay. Aber die Zeile hier … Spürst du die? Die ist wahr. Das ist das, wovon das Gedicht erzählen will. Spürst du es?“ Und dann werde ich lauter, deklamiere die Zeile mit meiner Erzählstimme voller Timbre und Klang. „Spürst du diese Worte? Wenn du sie spürst, warum schreibst du dann so viel Bla drumherum, das davon ablenkt? Siehst du den Teil hier? Das hast du aus irgendeinem Text abgeschrieben, der dich beeindruckt hat. Dort war es bestimmt cool, aber hier ist es leer und sagt gar nix. Whatthefuck! Wie faul bist du? Nimm diese eine Zeile und schreib das Gedicht neu, aber dieses Mal mit deinen Worten! Es könnte gut sein, und ich hasse es, wenn Menschen nicht alles geben für ihren Text!“

Mein Mann und meine Stiefmutter starren mich entgeistert an. Ich begreife, dass ich auf Lautstärke und Wortwahl hätte achten sollen.

Mein Vater dagegen nickt zufrieden und blickt auf seinen Text. „Die Zeile ist gut, sagst du?“ In seinen Augen funkelt dieses Licht voll Feuer und Kreativität, das zu wecken ich liebe.

„Ja. Bis auf das Füllwort hier.“ Ich streiche es durch. „Spürst du? Jetzt hat sie mehr Kraft. Und …“ Ich überfliege noch einmal das Gedicht. „Und diese Formulierung hier, die ist auch okay. Die passt zu der guten Zeile. Gedichte sind wie Zwiebeln. Du musst sie viele Male schälen, um ihren Kern zu finden.“ Dann lache ich auf. „Hey, das hast du mir beigebracht, weißt du noch? Als wir über die Songtexte von Leonard Cohen gesprochen haben. Er ging auch immer so vor.“

Mein Vater nickt. Das Sternfunkeln in seinen Augen zeigt mir, dass er keine Lust auf Smalltalk hat. „Ich habe da noch zwei weitere Gedichte … würdest du …“ Ich kenne den Hunger in seinem Blick. Es ist seltsam, zu erkennen, wie ähnlich wir uns an dieser Stelle sind. Vielleicht werde ich erst in diesem Moment wirklich erwachsen.

„Du kannst doch jetzt nicht all deine Gedichte …“, setzt meine Stiefmutter an.

Ich blicke zu meiner Stiefmutter und meinem Mann hinüber. Es ist ein schüchterner Blick, der um Verständnis bittet. Gleich sind wir wieder für euch da, aber jetzt … Es geht um Texte, um Sprache, um Wahrheit! Das ist doch wichtig! Versteht ihr das? Bitte, bitte, bitte versteht es!

Und wir kämpfen uns durch Texte, bis ich in den Augen meines Vaters sehe, dass ich alles gegeben habe, was in so kurzer Zeit geht. Irgendwann ist der Kopf voll. Und dann wird es rattern und man liegt nächtelang wach und sucht nach dem einen Wort, von dem man weiß, dass es existiert und den Weg in die Welt finden will.

„Sag mal, ich habe eine Frage an dich“, sagt mein Vater, nachdem meine Stiefmutter die Fenster aufgerissen hat. Ich sehe, dass sie meinem Mann in der Zwischenzeit auch einen Cappuccino gebracht hat. Das erstaunt mich. Ich habe davon gar nichts mitbekommen. „Wenn ich so etwas als richtiges Coaching bei dir buchen würde“, fragt mein Vater. „… um an meinen Gedichten zu arbeiten … wie viel würde mich das kosten?“

Ich bin entsetzt. „Dafür will ich kein Geld, Papa!“

„Die Frage steht im Konjunktiv.“

Ich nenne eine Zahl und erkläre, dass ein Coaching normalerweise etwas gemächlicher abläuft und nicht damit beginnt, dass ich zweidrittel eines Textes wegstreiche. Es soll die Kreativität fördern, nicht ersticken. Und ich erkläre, wie die Plattform Zoom funktioniert, die ich im Moment dafür nutze.

„Dann schlage ich dir folgenden Deal vor. Du bekommst die Bouzouki unter der Bedingung, dass du lernst, sie angemessen zu spielen. Und ich bekomme von dir vier bis fünf Coachings für meine Gedichte, bei denen wir uns angemessen Zeit nehmen. Nicht zwischen Tür und Angel.“

„Papa!“

„Hanna … Das war keine Antwort auf meine Frage.“

„Natürlich will ich! Aber ich würde es auch so tun. Ich mag deine Texte.“

Meine Augen leuchten auf vor Glück auf. Seine auch.

(Die Bouzouki fühlt sich inzwischen pudelwohl in meinem unordentlichen Künstlerhaushalt mit Neonbildern, Glückskatzen und improvisierten Musiksessions …)

Das Paradies: Gemeinsam an Texten arbeiten

Inzwischen wechseln wir uns ab. In einer Woche arbeiten wir 70 Minuten an einem Gedicht von ihm, in der nächsten an einem Storyprojekt von mir oder ein Text auf meiner Website. So könnte es ewig weitergehen, finde ich. Wir reden nie über Privates, immer nur über Texte und Geschichten.

Aber was könnte persönlicher, wahrer und vertrauensvoller sein als das?

Woche für Woche werde ich beim Coachen entspannter. Ich löse mich von den Techniken, die ich in meiner Aus- und Weiterbildung gelernt habe und den Momenten, in denen mein Lächeln zu professionell wird. Ich vertraue stattdessen auf meine Instinkte und ermutige mein Gegenüber, das ebenfalls zu tun. Das, was einen Text einzigartig macht, kommt weder aus mir noch aus erlernbaren Methoden, sondern tief aus der Seele meines Gegenübers. Mein Vater spiegelt mir jedes Mal im Gespräch, was ihn besonders berührt und wo er meinem Stil noch die Coaching-Ausbildung anmerkt. Ich höre zu, lerne und fasse mehr Vertrauen in meinen besonderen Blick auf fremde Geschichten und Gedichte, in die ich mich bei der gemeinsamen Arbeit daran verliebe.

Davon profitiert nicht nur mein Vater, sondern auch andere Menschen, die für ihre Texte und Geschichten zu mir kommen. Aber … die müssen mitunter trotzdem etwas auf ihren Termin warten. Denn einer meiner wöchentlichen Coaching-Termine ist für die kommenden Wochen und Monate vergeben. Dieser Abend gehört dem Mann, der mich als kleines Baby an seiner Brust getragen und mir mit seinem Herzschlag gezeigt hat, was Menschsein bedeutet.

Voll kitschig, ich weiß. Ist echt schwer mit den richtigen Worten.

Tja. Das ist meine Geschichte für heute. Ich bin keine Geschäftsfrau, egal, wie sehr ich es versuche. Ich bin Geschichtenerzählerin, und Geschichten handeln nicht von Geld, sondern von Menschen.

Von daher lautet mein Aufruf heute nicht, Dich für meine Coachings oder Masterclasses für Deinen Roman anzumelden. Die sind gut, keine Frage, aber … Sie kosten Geld, und Geld besitzt nicht die gleiche Magie wie Geschichten. Komm lieber zur Storyteller Night, für die es weder Eintritt noch Honorare gibt. Dort erzählen wir uns Geschichten, auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch und ganz individuell und verletzlich.

(Es gibt viele Fotos aus meiner Kindheit. Aus irgendeinem Grund liebe ich das hier am meisten. Es fängt ein, was es bedeutet, kreativ zu sein. Farbe im Gesicht und vollkommene Konzentration auf den Prozess …)

Die Verfasserin:

Hanna Aden (*1983) ist Schriftstellerin und examinierte Lehrerin. Seit 2015 unterstützt sie als Seminarleiterin und Coach angehende und professionelle Autor:innen auf ihrem Weg.

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Danke, dass Du meinen Text gelesen hast! Ich mag neugierige und wissbegierige Menschen. Besonders, wenn sie sich für das Erzählen von Geschichten interessieren.

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Mein Best Buddy würde sagen: Gönn Dir!

Ich freue mich darauf, Dich vielleicht schon bald in einem meiner Kurse kennenzulernen.

Liebe Grüße
Hanna