Am Samstagmorgen ist Julias erster Weg der zu ihrem Inspirationstürchen.
„Schreibe Deine schönste und größte Sehnsucht in Deine Bücher hinein.“
Sie saugt die Wangeninnenseite in den Mund und beißt darauf, bis sie Blut schmeckt. Was ist die größte und schönste Sehnsucht, die ihr einfällt?
Man hat ihr beigebracht, nicht zu viel vom Leben zu verlangen. Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, sagt man. Geh pünktlich zur Arbeit, sei nett zu Chef und Kollegen, lach nicht zu laut und betrink dich nicht bis zu dem Punkt, an dem es dich danach verlangt, halbnackt auf dem Tisch in der Bar zu tanzen.
Nicht mal, wenn du schöne Unterwäsche trägst und der BH es durchaus verdienen würde, öffentlich zu guter Musik und ihren zumindest in der Fantasie diabolischen und schlangenhaften Bewegungen zur Schau getragen zu werden.
Julia schüttelt den Kopf. Auf diese Weise sichtbar zu werden und die Welt mit dem Feuer in ihrer Seele zu verzaubern, ist eindeutig eine verführerische Vorstellung, die sie viel zu lange in sich begraben hat. Aber eigentlich ist die Fantasie bloß einS ymbol für etwas anderes, wonach sie sich sehnt.
Sie will als Künstlerin die Regeln brechen. Das, was sich an der Oberfläche befindet, ist bei allen Menschen, bei allen Büchern irgendwie gleich. Worte, Sätze, Kapitel, eine Figur, die Hindernisse überwindet und ihr Ziel erreicht. Schöne und hässliche Momente wechseln sich ab, Menschen helfen oder werden zu Hindernissen, bis die Heldin im finalen Kampf über sich selbst hinauswächst und sich damit ihr Recht auf Glück oder Sieg verdient …
Das ist überall dasselbe, auch wenn es sich je nach Genre, Figur und Plot unterscheidet. Genau, wie alle Menschen die gleiche Art Kleidung tragen, Hosen, Oberteile, Haare innerhalb eines bestimmten Farbspektrums und je nach Anlass gesellschaftlich akzeptierter Schmuck …
Aber das ist alles nur die Oberfläche.
Julia spürt, dass sie Geschichten schreiben will, die hinter diese Oberfläche zielen und den Zauber enthüllen, der sich darunter verbirgt. Noch hat sie keine Ahnung, wie sie das anstellen will.
Aber sie spürt, dass dieses Verlangen die tiefere Wahrheit darstellt, die sich hinter ihrem ersten Sehnsuchtsbild mit dem spontanen Strip in der Bar verbarg. Julia will den Rhythmus der Musik spüren, die aus fernen Boxen ertönt und ihr Blut entzündet, und auf den Tisch steigen, um sichtbar zu werden. Dann will sie Schicht für Schicht Kleidung und Masken und Konventionen ablegen und …
Was wird dann passieren?
Julia schaudert und klappt das Türchen wieder zu.
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Freiwilliger Schreibauftrag für Julia (und Dich):
Gestern hast Du von Deinem Erfolg als Autor*in geträumt und es hoffentlich auch in Worte gefasst. Aber wovon träumst Du noch? Was ist Deine geheime Sehnsucht, die einen Teil Deiner Einzigartigkeit ausmacht?
Stelle einen Timerauf fünf Minuten. Überschrift Deines Textes: „Meine geheime Sehnsucht“
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Sei dabei, wennJulia morgen das nächste Türchen in ihrem Inspirationskalender öffnet!
Die Verfasserin:
Hanna Aden (*1983) ist Schriftstellerin und examinierte Lehrerin. Seit 2015 unterstützt sie als Seminarleiterin und Coach angehende und professionelle Autor:innen auf ihrem Weg.
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Danke, dass Du meinen Text gelesen hast! Ich mag neugierige und wissbegierige Menschen. Besonders, wenn sie sich für das Erzählen von Geschichten interessieren.
In meinem Newsletter verschicke ich (halbwegs) regelmäßig Tipps über das Schreiben, Inspirationals und informiere Dich über neue Blogbeiträge und Videos. Außerdem schenke ich Dir als Dankeschön für Dein Interesse das E-Book „Romane schreiben für Anfänger:innen“ im PDF-Format. Dort erhältst Du 18 praktische und direkt umsetzbare Lektionen, die Dir die Basics des Schreibhandwerks informativ und fesselnd vermitteln.
Mein Best Buddy würde sagen: Gönn Dir!
Ich freue mich darauf, Dich vielleicht schon bald in einem meiner Kurse kennenzulernen.
Liebe Grüße
Hanna
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Meme-Photo by Nathan
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