In dieser Nacht schläft Julia schlecht. Ihre neue Geschichte brennt in ihr. Mehr als einmal wird sie wach und spürt im Halbschlaf, dass ein Teil von ihr mit Worten ringt, Sätze umeinanderdreht und Metaphern auf so geniale Weise miteinander verwebt, dass ihr vor Dankbarkeit über so viel Schönheit Tränen die Wangen hinablaufen würden – wenn man denn während des Schlafens weinen könnte.

Am nächsten Morgenist alles fort. Sie erinnert sich nur noch an die Zweifel, die sie gestern verfolgt haben. Sie will die neue Story nicht schreiben. Die Welt ist ohne ihre Geschichten besser dran.

Den ganzen Tag erinnert sie sich daran, den Kopf aufrecht zu tragen. Sie wird keine Bücher mehr schreiben. Von jetzt an ist sie eine ganz normale Frau.

Abends räumt sie die Wohnung auf, um diesen blöden Inspirationskalender an der Wand zu ignorieren. Sie wischt sogar oben auf den Schränken Staub, wo sie sonst nie hingeht, und stellt fasziniert fest, wie schwarz sich das Staubtuch färbt.

Der Kalender verschwindet nicht. Julia stößt einen Fluch aus und öffnet das nächste Türchen.

„Du brauchst Mut, um der Stimme tief in Dir zu vertrauen.“

Julia schluckt. Sie will nicht mutig sein. Die vertrauten Gefilde reichen ihr aus, vielen Dank. Das, was sie bisher geschrieben hat, kennt sie schon, und es funktioniert. Es speist sich aus Träumen, die sich bewährt haben. Wenn sie weiter so schreibt, werden die paar Leserinnen, die sie hat, sicher wieder zufrieden sein.

Aber ob sie jemals so sehr verzaubern wird wie die Autorin ihres Lieblingsbuches?

Julia holt ihren Block und fängt zu schreiben an. Heute kümmert es sie nicht, ob das, was rauskommt, gut oder schlecht ist. Sie kämpft mit jedem Satz, teilweise sogar jedem Wort, und vergisst direkt danach wieder, was sie geschrieben hat. Es ist bestimmt schlecht. Niemand wird es lesen wollen. Aber … das Wort muss auch noch. Der Satz auch.

Schließlich steht sie auf und wirft den Block in die Ecke. Sie traut sich nicht, noch einmal draufzuschauen und alles zu überarbeiten.

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Freiwilliger Schreibauftrag für Julia (und Dich):

Stelle einen Timer auf fünf Minuten. Heute schreibst Du die Antwort auf die zweifelnde Stimme in Deinem Kopf, die gestern zu Wort kommen durfte. Erster Satz: „Ich habe Dich gehört, aber ich bin mutig. Ich werde …“

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Sei dabei, wenn Julia morgen das nächste Türchen in ihrem Inspirationskalender öffnet!
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Die Verfasserin:

Hanna Aden (*1983) ist Schriftstellerin und examinierte Lehrerin. Seit 2015 unterstützt sie als Seminarleiterin und Coach angehende und professionelle Autor:innen auf ihrem Weg.

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Danke, dass Du meinen Text gelesen hast! Ich mag neugierige und wissbegierige Menschen. Besonders, wenn sie sich für das Erzählen von Geschichten interessieren.

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Mein Best Buddy würde sagen: Gönn Dir!

Ich freue mich darauf, Dich vielleicht schon bald in einem meiner Kurse kennenzulernen.

Liebe Grüße
Hanna

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